21. Mai 2012

Gott ist tot

Es begann so gut: Die Mannschaft der Bayern spielte mit Herzblut, mit Leidenschaft, mit Engagement. Chelsea bekam kaum Luft zum Durchschnaufen. Immer wieder preschten die Roten nach vorne. Tymoschtschuk und Boateng verteidigten konzentriert, der überragende Lahm gefiel mit tollen Vorstößen über die rechte Flanke. Diego Contento, vor dem Spiel als Schwachpunkt ausgemacht, machte das Spiel seines Lebens und ersetzte Alaba vorzüglich. Bastian Schweinsteiger schleppte am Rande seiner Kräfte die Bälle immer wieder vor das Londoner Tor. Ribéry und Robben dribbelten den Gegnern Knoten in die Beine. Besonders der Holländer suchte immer wieder mit Schüssen aus allen Lagen auf das Gehäuse von Petr Cech den Abschluss. Erst in der 83. Minute, nach unzähligen Torversuchen und 18 Eckbällen gelang das 1:0 durch den stark aufspielenden, aber von Wadenkrämpfen geschwächten Thomas Müller. Die Arena bebte, die Public Viewing-Plätze, wie das Olympiastadion oder die Theresienwiese implodierten, ganz München wurde zum Tollhaus. Bis der bis dato abgemeldete Didiér Drogba den Ball - nach der einzigen Ecke der Londoner in der regulären Spielzeit - per Kopf in den Winkel bugsierte. Sieben verdammte Minuten haben gefehlt. Es folgte die Verlängerung. Auf dem Zahnfleisch gehend brachten die Münchner noch einige Angriffe zustande, doch leider fehlte das Glück im Abschluss. Besonders Mario Gomez erwischte einen in Pech getränkten Tag. Der Elfmeter in der 95. Minute brachte etwas Hoffnung: Die Zuschauer im Olympiastadion waren sich sicher, das Arjen Robben treffen würde. Schnell waren die Kameras und Handys gezückt, um einen Jubelsturm aufzunehmen. Doch er vergab. Wie schon gegen Boruassia Dortmund im vorentscheidenden Duell um die Meisterschaft verschoss der Holländer. In den restlichen Minuten gelang es keiner Mannschaft mehr, den Lucky-Punch zu setzen. Das Roulette musste entscheiden. Auch hier begann es verheißungsvoll: Manuel Neuer hielt den ersten Elfer von Juan Mata. Doch darauf folgten wackelige Knie und bibbernde Füße: Beinahe jeder Spieler traute sich nicht zum Duell mit Petr Cech anzutreten. Schließlich musste gar Neuer sein Glück versuchen, da ein Tymoschtschuk, ein Kroos, ja auch ein Robben kniffen. Ivica Olic, zwar mit Mut, nicht aber mit der besten Schusstechnik ausgestattet, vergab, während die Schützen der Blues souverän verwandelten. Bastian Schweinsteiger, in Madrid noch der gefeierte Held, vergab. Es war knapp. Sehr knapp. Der Ball tupfte an den Pfosten. Statt in die Maschen, sprang er hinaus. Es sollte nicht sein. Drogba verwandelte den entscheidenden Elfmeter eiskalt. So war auch der Schauer, der den Fans und den Spielern über den Rücken lief, als somit die Entscheidung gefallen war. Die Funktionäre um Uli Hoeness vergruben ihr Gesicht in den Händen. Die Spieler sackten zu Boden, Tränen liefen in Strömen. Auf dem Platz in der Arena, wie auch beim Public Viewing im Olympiastadion. Eine Tragik, beinahe schlimmer als 1999. Chelsea gewann dank ihrer unglaublich bescheidenen Interpretation des Fußballspiels und dem Ivorer Didiér Drogba. Das Finale Dahoam war verloren. Thomas Müller sagte später, es gäbe wichtigere Dinge als Fußball. Dennoch: Der Fußballgott muss tot sein - sonst hätte er so etwas nicht zugelassen.

[Bilder: Tobias Ilg]

2 Kommentare:

  1. Gott war tatsächlich nicht in München, er war geschäftlich in Köln beim Katholikentag.

    Das Barcelona mit seinem one-way-tiki-taka keinen Weg durch eine eng stehende und diszipliniert spielende Verteidigung findet, ok. Aber Bayern ist offensiv flexibler, sie haben vorne einen Baum stehen und gute Flügel, um mal so einen Ball zu bringen. Und trotzdem hat Bayern es nicht geschafft ihre Taktik über 90 Minuten zu verändern und sind immer wieder, wie blind und ferngesteuert in die blaue Wand gerast.

    Dazu haben sie einen riesigen Aufwand betrieben, der nicht sehr weitsichtig war. Die wenigen Situationen in denen Chelsea offener stand als normal (ich komme dazu noch), hat das Umschalten bei den Bayern ewig gedauert. Das Tempo, das sie gegangen sind, musste ihren Tribut fordern.

    Ich wette: Hätten die Bayern ihre Angriffe bis an die Grundlinie zu Ende gespielt, dann hätten sie schon früher getroffen. Lahm hat es einmal vorgemacht, Doppelpass mit Robben, runter an die Grundlinie, zurückgelegt und schon war Gefahr da. Das ist das kleine Einmaleins des Fußballs und mit Ribery haben sie einen Spieler, der das im Schlaf beherrscht, gefühlte 100 Tore hat er so aufgelegt.

    Das Chelsea immer gefährlich sein kann, hat Mata gezeigt. Die paar wenigen Male, haben sie mit zwei, drei Stationen den Ball flach und schnell durch das Mittelfeld gespielt.

    Das dieses Finale keine Werbung war ist klar. Die Griechenland-Taktik (Danke MO!) geht auf und ich frage mich, was die Taktik von Chelsea war. Auf die erste Ecke warten? Elfmeterschießen, weil sie das eine Woche geübt haben?

    Fazit:
    Wer auffällig spielt, spielt nicht gleich gut. Wenn weniger als die Hälfte der Schüsse nicht auf das Tor gehen, dann reicht es nicht. Und wenn Gomez gegen zwei Kanten spielt, dann muss er nach außen die Löcher reißen.

    Es war eine sehr bittere Nacht, für ganz Fußball- Deutschland, aber das Elfmeterschießen war symptomatisch. Einfallslos und mutlos. 90 Minuten besser sein und denken, dass irgendwann ein Tor fällt reicht nicht aus.

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  2. Eine hervorragende Analyse des Spiels. Danke dafür, auch wenn mir das Lesen nach wie vor Tränen in die Augen treibt. Ein Problem war in der Tat das zu seltene Durchmarschieren zur Grundlinie. Vielleicht hätten so öfter gefährliche Bälle in den Rückraum gespielt werden können, die Gomez besser verwertet hätte. Jedoch kann man ihm auch vorwerfen, sich nicht genug ins offensive Mittelfeld fallen gelassen zu haben.
    Auch macht sich der fehlende Alaba im Nachhinein doch bemerkbarer als gedacht: Gerade er war es in den letzten Spielen, der immer wieder Ribéry bis zur Grundlinie hinterlaufen hat. Contento ist, trotz einer tollen Leistung, nicht der Spielertyp der dies tut.
    Über die "Elfer-Debatte" müssen wir glaube ich nicht sprechen. Einfach lächerlich, was da ablief. Ein Neuer muss antreten (Unglaublicher Respekt dafür!), da ein Tymoschtschuk oder Kroos kneift. Olic war doch noch nie für seine Schusstechnik bekannt, warum tritt er dann überhaupt an? Schweinsteiger trifft keine Schuld. Er hat es wenigstens versucht.

    Was mich besonders traurig macht, ist diese Ungerechtigkeit. Ich ärger mich über diese verdammte Mauertaktik, dieses Gemurkse, diese eine Chance mit dem folgenden Tor und "auf das Elferschießen spekulieren". Aber gut. Auch wenn es nicht ansehnlich war, effizient war es allemal.

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