Viktor Skripnik (43), ehemaliger
Bundesligaspieler von Werder Bremen und Nationalspieler der Ukraine,
wird in dieser kleinen Reihe Einblicke in sein Privatleben geben. Mal
sprachen wir über seine Anfänge im Fußball, dann wiederum über die
Fertigkeiten eines Fußballtrainers. Heute plaudert Skripnik über seine Anfänge mit dem runden Leder. Der
"Beckham der Ukraine" äußert sich zudem zur Popularität des Fußballs in
seiner Region, sprach mit uns über seine Vorbilder zu Jugendzeiten und
schildert anfängliche Probleme in der Bundesrepublik.
Herr
Skripnik, Anfang der Siebziger war der Eishockeysport in der Sowjetunion sehr
populär. Die Nationalmannschaft feierte Erfolge am laufenden Band. Wie
kam es, dass sie dem Eis fernblieben und lieber auf den Bolzplatz gingen?
Bei uns war in jeder Straße ein
Platz, wo du im Sommer Fußball und im Winter natürlich Eishockey spielen
konntest. Ich habe mich für Fußball entschieden, da ich keine Chance hatte in
unserem kleinen Ort, wo kein Platz für Eishockey war, diesen Sport auszuüben.
Hier spielten ungefähr 14 Spieler in meinem Alter. Wir kickten vom Sonnenauf-
bis zum Sonnenuntergang. Das war unsere beste Zeit. Wenn ich Zuhause
vorbeischaue, unterhalten wir uns auch heute noch über Fußball und über die
Jahre, die wir damals zusammen verbrachten.
War ein Mitglied Ihrer Familie
fußballbegeistert?
Mein Vater war ein riesiger
Fußball-Fan. Dazu kam, dass meine Heimatstadt Dnipropetrowsk 1983 sowjetischer
Meister wurde. Bei diesem Gewinn war ich mit meinem Vater im Stadion. Dies war
eine unvergessliche Sache. Ich war fortan einfach begeistert von Fußball. Am
liebsten wollte ich den Spielern so nah sein, wie die Balljungen, die den Ball
immer wieder zurück schmissen. Ich war immer neidisch auf die kleinen Jungs am
Spielfeldrand und fragte mich, was sie mit den Bällen tun, die sie nicht
zurückwarfen. Ein Ball wurde kurz darauf das beste Geschenk was ich bis dato
bekam. Er war lange auch das einzige Spielzeug bei mir Zuhause. Wie oft haben
mein fünf Jahre jüngerer Bruder und ich damals Fenster und Lampen kaputt
gemacht. Wir haben früher zusammen so viel Spaß gehabt, haben in der
Straßenbahn gespielt oder sonst wo. Wir haben uns immer bewegt und uns keine
Gedanken über die Zukunft gemacht. Wir genossen einfach den Fußball.
Wie populär war der Fußball insgesamt
in Ihrer Region?
In Russland war das Eishockey von
größerer Bedeutung, die Ukraine dagegen war nicht so aktiv in diesem Sport. Ich
wurde in der SSR (Ukrainische Sozialistische Sowjetrepublik, Anm. d. Autors) geboren.
Russland hatte mit Sibirien, wo meist Minusgrade vorhanden waren, mehr
Möglichkeiten für Eishockey. Unsere Region war zentral in der Ukraine gelegen,
wo der Winter zwar herrschte, aber nicht die Möglichkeiten, um Eishockey zu
spielen. Deswegen war Fußball bei uns die Nummer Eins.
Gab es in Ihrer Jugendzeit Vorbilder
als Sie angefangen haben, Fußball zu spielen?
Ja klar, Vorbilder gab es immer,
zum Beispiel Oleg Blochin von Dynamo Kiew. Der Fußball in Westeuropa war auch sehr
beeindruckend. Leider hatten wir kaum Chancen, die Spiele im Fernsehen zu
verfolgen. Wenn doch, dann nur wenige Minuten, in der man zwei, drei Tore aus
den europäischen Ligen, etwa aus der Bundesliga oder aus Italien, sehen konnte.
Stattdessen bekamen wir immer die besten Mannschaften der Ukraine, wie Dynamo
Kiew oder Dnipro Dnipropetrowsk vor Augen geführt.
Sie waren
einer der ersten ukrainischen Fußballspieler in Deutschland. Warum
fiel Ihre Wahl auf die Bundesrepublik? Und warum gerade auf Bremen?
Die Frage ist leicht zu
beantworten. Damals, 1983, war ich mit meiner ehemaligen Mannschaft zwischen
Hamburg und Bremen im Trainingslager. Ich sah einen riesigen Bus in den Farben
Grün und Weiß. Es war der Bus von Werder Bremen. Ich als kleiner Mann aus
Osteuropa, verliebte mich sofort in diese Farben und in diesen Namen. Hinzu
kam, dass in der Saison 1987/88 Spartak Moskau gegen Bremen im UEFA-Pokal spielte.
Spartak gewann 4:1 Zuhause, im Weserstadion verloren sie aber gegen Bremen 6:2.
Mein Vater und ich schauten dieses Spiel an und ich war einfach nur begeistert,
wie diese Mannschaft funktionierte. Ich wollte einfach echten Fußball sehen.
Das war mein Traum, doch leider war die Grenze immer noch zu. Man konnte nicht
einfach für sich selber entscheiden. Erst mit der Grenzöffnung und mit der
Erlangung der Souveränität der Ukraine 1991, kamen internationale Trainer in
meine Stadt. Einer dieser Männer war Bernd Stange, der ehemalige Trainer der
DDR. Er empfahl mich an den damaligen Werder-Trainer Hans-Jürgen „Dixie“ Dörner,
dem „Ost-Beckenbauer“, nicht wahr?
Manch
einer bezeichnete ihn so. Vielleicht wegen seiner 100 Länderspiele und seiner
zahlreichen Erfolge in der DDR.
Richtig. Ich ging nach Bremen zum
Probetraining, musste aber erst wieder nach Hause, bis die Vereine die Ablöse
ausgehandelt hatten. Ich hoffte immer dass der Transfer klappt. Nach einem
halben Monat konnte ich dann wechseln.
Warum gefiel Ihnen
gerade der deutsche Fußball so?
Ich wollte unbedingt nach
Deutschland. Hier wird der Fußball gespielt, der meiner Philosophie entspricht.
Mich faszinierten die Ordnung und die hohe Anzahl der Tore in der Bundesliga.
Außerdem bin ich nicht so schnell, wie es etwa der Fußball in Spanien verlangte.
Trotz den ersten schweren Jahren habe ich es geschafft und würde sagen, dass es
gut für mich und für meine Familie war.
Sie sagten die ersten Jahre waren
schwer. Mit welchen Problemen wurden Sie konfrontiert?
Ich war damals 26 Jahre alt, konnte
nur einige Worte Deutsch. Doch im Fußball musst du nicht richtig quatschen
können, du musst gut spielen. Sportlich lief es dann recht schnell, auch die
Sprache verbesserte sich langsam. Die erfahrenen Spieler wie Dieter Eilts,
Marco Bode, Oliver Reck oder Andi Herzog standen mir mit unterstützenden Worten
und Ratschlägen zur Seite. Aber trotzdem war dies eine andere Welt, fast ein
anderer Planet im Gegensatz zur Ukraine. Erst in Deutschland wurden mir die
Unterschiede stark bewusst: Wie lebt ein Profifußballer in der Ukraine, wie
lebt er in Deutschland?
Worin
liegt genau der Unterschied?
In der Ukraine übernachtest du
eine Nacht pro Woche Zuhause. Hier dagegen bist du vielleicht eine Nacht mal
nicht Zuhause, also immer mit deinen Kindern zusammen. In Deutschland bekam ich
erst richtig das Gefühl, Vater zu sein. Statt nur unterwegs in Trainingslagern,
war ich nun bei meiner Familie. Selbstredend war aber auch das Fußballspiel
eine Umstellung, darüber muss man sich nicht unterhalten. Auch von der Mentalität: Wenn es 0:2 steht, ist ein Spiel in der Ukraine oft
gelaufen. In Deutschland geht es oft aber erst richtig los und am Ende gewinnt
die andere Mannschaft vielleicht sogar noch 3:2. Der Fußball hier ist viel
überraschender.
[Mitarbeit: Philipp Schaefer]