22. Juni 2012

"Ich verzichte auf VIP-Karten"

Viktor Skripnik (43), ehemaliger Bundesligaspieler von Werder Bremen und Nationalspieler der Ukraine, wird in dieser kleinen Reihe Einblicke in sein Privatleben geben. Mal sprechen wir über seine Anfänge im Fußball, dann wiederum über die Fertigkeiten eines Fußballtrainers. Das Thema heute ist die Europameisterschaft in Polen und der Ukraine. Der "Beckham der Ukraine" äußert sich  zu den Chancen der ukrainischen Elf, den politischen Debatten im Vorfeld und den Folgen des Turniers für sein Heimatland.

Kommendes Wochenende startet die Europameisterschaft. Hier wird der Druck auf die Nationalmannschaft sehr hoch sein. Glauben Sie, dass das Team die Erwartungen erfüllen kann? Oder zerbricht es am hohen Erfolgsdruck?

In den eigenen Städten und Stadien vor den heimischen Fans zu spielen kann zu einer hohen Erwartungshaltung führen. Vielleicht ist es ein Bonus für dich, da die Zuschauer hinter dir stehen, vielleicht aber auch ein Druck. Aber ich glaube, wir haben eine richtige Mischung: Alte Leute wie Woronin, Schewtschenko oder Timoschtschuk, die schon öfter mit heißem Herz aber kühlem Kopf gespielt haben, und auch junge, talentierte Leute, von denen ich glaube, dass sie bereits im Blickfeld von einigen Mannschaften aus Westeuropa sind. Hinzu kommt der langjährige Trainerstab, der weiß wo es lang geht und Erfahrung durch die WM 2006 in Deutschland hat.

In letzter Zeit wurden beinahe nur negative Schlagzeilen über die Ukraine in den Medien gelesen. Es begann mit der angeblichen Tierquälerei, der bewussten Tötung von streunenden Hunden. Nun dominierten die Diskussionen um die Haftbedingungen Julia Timoschenkos den Politikteil in jeder Zeitung. Vielleicht werden gar einige Politiker das Turnier boykottieren. Glauben Sie, diese Ereignisse könnten die sportlichen Erfolge schmälern und die Vorfreude auf das Turnier trüben?

Ich bin der Meinung, Politik und Sport darf nicht eng verbunden sein. Ich glaube, es ist die falsche Richtung, wenn Menschen nicht zu einem Sportevent, einer Welt- oder Europameisterschaft fahren, weil ein Land sich so verhält. Doch muss man auch die anderen Meinungen akzeptieren. Einen Boykott muss man nicht zwingend durch einen Nichtbesuch zeigen. Ich beispielsweise boykottiere auch auf meine Art: Ich verzichte auf VIP-Karten, kaufe mir stattdessen die einfachen Tickets und sitze in irgendeinem Eck des Stadions.

Denken Sie, die Europameisterschaft hinterlässt nachhaltige Spuren oder löst vielleicht einen Boom im Lande aus, ähnlich wie in Deutschland 2006?

Ich hoffe, dass dies passiert. Nicht nur die Infrastruktur soll sich verbessern, sondern auch das Ansehen in Europa. Die Besucher sollen die Ukraine als ein Land mit netten Leuten in Erinnerung behalten. Wir sind ein junger Staat, gerade einmal zwanzig Jahre alt. Das wir ein so großes Turnier ausrichten können, ist sehr toll. Denn hierzu gehört nicht nur der Bau von Stadien, sondern auch von Hotels, Straßen usw. Diese Entwicklung ist schon faszinierend. Die EM stellt für uns eine riesige Chance dar uns zu präsentieren. Ich hoffe, ein Boom tritt ein und hält lange an, sodass die Zuschauer weiter in die Stadien strömen oder mehr Kinder zum Fußball gehen.

Theoretisch könnte Deutschland im Halbfinale auf die Ukraine treffen. Für welche Auswahl würden Sie die Daumen drücken?

Schade für Deutschland, ich bin Ukrainer (lacht). Ich bin natürlich für mein Land. Doch müssen wir realistisch sein, auch wenn es immer wieder Überraschungen gab, wie damals Dänemark oder Griechenland. Ich hoffe, dass auch meinem Land so etwas gelingen kann. Das letzte Champions League-Finale hat dies ja beispielsweise auch gezeigt: Jeder dachte, Barcelona spielt im Finale gegen Real Madrid. Am Ende waren es dann doch Bayern und Chelsea. Wichtig ist, dass sich die Mannschaft stets aufs Neue beweist und sich quält. Dann bin ich fest davon überzeugt, dass uns eine Überraschung gelingen kann.

Herr Skripnik, wer wird am 1. Juli im Olympiastadion Kiew den Pokal in den Händen halten?

Das ist eine schwere Frage! Ich versuche diplomatisch zu antworten: Es gibt fünf, sechs Mannschaften im Favoritenkreis. Am Ende werden die Mannschaften im Finale stehen, die stets in Topform auftreten, ohne Verletzungen sowie Sperren auskommen und mental am stärksten sind. Ich bin natürlich für mein Land. Wenn wir aber ausscheiden sollten, drücke ich natürlich Deutschland die Daumen!

[Bild: Tobias Ilg, Mitarbeit: Philipp Schaefer]

Auch erschienen bei 11Freunde und beim Osteuropakanal.

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