29. Juni 2012

"Wir kickten vom Sonnenauf- bis zum Sonnenuntergang"

Viktor Skripnik (43), ehemaliger Bundesligaspieler von Werder Bremen und Nationalspieler der Ukraine, wird in dieser kleinen Reihe Einblicke in sein Privatleben geben. Mal sprachen wir über seine Anfänge im Fußball, dann wiederum über die Fertigkeiten eines Fußballtrainers. Heute plaudert Skripnik über seine Anfänge mit dem runden Leder. Der "Beckham der Ukraine" äußert sich zudem zur Popularität des Fußballs in seiner Region, sprach mit uns über seine Vorbilder zu Jugendzeiten und schildert anfängliche Probleme in der Bundesrepublik.

Herr Skripnik, Anfang der Siebziger war der Eishockeysport in der Sowjetunion sehr populär. Die Nationalmannschaft feierte Erfolge am laufenden Band. Wie kam es, dass sie dem Eis fernblieben und lieber auf den Bolzplatz gingen?

Bei uns war in jeder Straße ein Platz, wo du im Sommer Fußball und im Winter natürlich Eishockey spielen konntest. Ich habe mich für Fußball entschieden, da ich keine Chance hatte in unserem kleinen Ort, wo kein Platz für Eishockey war, diesen Sport auszuüben. Hier spielten ungefähr 14 Spieler in meinem Alter. Wir kickten vom Sonnenauf- bis zum Sonnenuntergang. Das war unsere beste Zeit. Wenn ich Zuhause vorbeischaue, unterhalten wir uns auch heute noch über Fußball und über die Jahre, die wir damals zusammen verbrachten.

War ein Mitglied Ihrer Familie fußballbegeistert?

Mein Vater war ein riesiger Fußball-Fan. Dazu kam, dass meine Heimatstadt Dnipropetrowsk 1983 sowjetischer Meister wurde. Bei diesem Gewinn war ich mit meinem Vater im Stadion. Dies war eine unvergessliche Sache. Ich war fortan einfach begeistert von Fußball. Am liebsten wollte ich den Spielern so nah sein, wie die Balljungen, die den Ball immer wieder zurück schmissen. Ich war immer neidisch auf die kleinen Jungs am Spielfeldrand und fragte mich, was sie mit den Bällen tun, die sie nicht zurückwarfen. Ein Ball wurde kurz darauf das beste Geschenk was ich bis dato bekam. Er war lange auch das einzige Spielzeug bei mir Zuhause. Wie oft haben mein fünf Jahre jüngerer Bruder und ich damals Fenster und Lampen kaputt gemacht. Wir haben früher zusammen so viel Spaß gehabt, haben in der Straßenbahn gespielt oder sonst wo. Wir haben uns immer bewegt und uns keine Gedanken über die Zukunft gemacht. Wir genossen einfach den Fußball.

Wie populär war der Fußball insgesamt in Ihrer Region?

In Russland war das Eishockey von größerer Bedeutung, die Ukraine dagegen war nicht so aktiv in diesem Sport. Ich wurde in der SSR (Ukrainische Sozialistische Sowjetrepublik, Anm. d. Autors) geboren. Russland hatte mit Sibirien, wo meist Minusgrade vorhanden waren, mehr Möglichkeiten für Eishockey. Unsere Region war zentral in der Ukraine gelegen, wo der Winter zwar herrschte, aber nicht die Möglichkeiten, um Eishockey zu spielen. Deswegen war Fußball bei uns die Nummer Eins.

Gab es in Ihrer Jugendzeit Vorbilder als Sie angefangen haben, Fußball zu spielen?

Ja klar, Vorbilder gab es immer, zum Beispiel Oleg Blochin von Dynamo Kiew. Der Fußball in Westeuropa war auch sehr beeindruckend. Leider hatten wir kaum Chancen, die Spiele im Fernsehen zu verfolgen. Wenn doch, dann nur wenige Minuten, in der man zwei, drei Tore aus den europäischen Ligen, etwa aus der Bundesliga oder aus Italien, sehen konnte. Stattdessen bekamen wir immer die besten Mannschaften der Ukraine, wie Dynamo Kiew oder Dnipro Dnipropetrowsk vor Augen geführt.

Sie waren einer der ersten ukrainischen Fußballspieler in Deutschland. Warum fiel Ihre Wahl auf die Bundesrepublik? Und warum gerade auf Bremen?

Die Frage ist leicht zu beantworten. Damals, 1983, war ich mit meiner ehemaligen Mannschaft zwischen Hamburg und Bremen im Trainingslager. Ich sah einen riesigen Bus in den Farben Grün und Weiß. Es war der Bus von Werder Bremen. Ich als kleiner Mann aus Osteuropa, verliebte mich sofort in diese Farben und in diesen Namen. Hinzu kam, dass in der Saison 1987/88 Spartak Moskau gegen Bremen im UEFA-Pokal spielte. Spartak gewann 4:1 Zuhause, im Weserstadion verloren sie aber gegen Bremen 6:2. Mein Vater und ich schauten dieses Spiel an und ich war einfach nur begeistert, wie diese Mannschaft funktionierte. Ich wollte einfach echten Fußball sehen. Das war mein Traum, doch leider war die Grenze immer noch zu. Man konnte nicht einfach für sich selber entscheiden. Erst mit der Grenzöffnung und mit der Erlangung der Souveränität der Ukraine 1991, kamen internationale Trainer in meine Stadt. Einer dieser Männer war Bernd Stange, der ehemalige Trainer der DDR. Er empfahl mich an den damaligen Werder-Trainer Hans-Jürgen „Dixie“ Dörner, dem „Ost-Beckenbauer“, nicht wahr?

Manch einer bezeichnete ihn so. Vielleicht wegen seiner 100 Länderspiele und seiner zahlreichen Erfolge in der DDR.

Richtig. Ich ging nach Bremen zum Probetraining, musste aber erst wieder nach Hause, bis die Vereine die Ablöse ausgehandelt hatten. Ich hoffte immer dass der Transfer klappt. Nach einem halben Monat konnte ich dann wechseln.

Warum gefiel Ihnen gerade der deutsche Fußball so?

Ich wollte unbedingt nach Deutschland. Hier wird der Fußball gespielt, der meiner Philosophie entspricht. Mich faszinierten die Ordnung und die hohe Anzahl der Tore in der Bundesliga. Außerdem bin ich nicht so schnell, wie es etwa der Fußball in Spanien verlangte. Trotz den ersten schweren Jahren habe ich es geschafft und würde sagen, dass es gut für mich und für meine Familie war.

Sie sagten die ersten Jahre waren schwer. Mit welchen Problemen wurden Sie konfrontiert?

Ich war damals 26 Jahre alt, konnte nur einige Worte Deutsch. Doch im Fußball musst du nicht richtig quatschen können, du musst gut spielen. Sportlich lief es dann recht schnell, auch die Sprache verbesserte sich langsam. Die erfahrenen Spieler wie Dieter Eilts, Marco Bode, Oliver Reck oder Andi Herzog standen mir mit unterstützenden Worten und Ratschlägen zur Seite. Aber trotzdem war dies eine andere Welt, fast ein anderer Planet im Gegensatz zur Ukraine. Erst in Deutschland wurden mir die Unterschiede stark bewusst: Wie lebt ein Profifußballer in der Ukraine, wie lebt er in Deutschland?

Worin liegt genau der Unterschied?

In der Ukraine übernachtest du eine Nacht pro Woche Zuhause. Hier dagegen bist du vielleicht eine Nacht mal nicht Zuhause, also immer mit deinen Kindern zusammen. In Deutschland bekam ich erst richtig das Gefühl, Vater zu sein. Statt nur unterwegs in Trainingslagern, war ich nun bei meiner Familie. Selbstredend war aber auch das Fußballspiel eine Umstellung, darüber muss man sich nicht unterhalten. Auch von der Mentalität: Wenn es 0:2 steht, ist ein Spiel in der Ukraine oft gelaufen. In Deutschland geht es oft aber erst richtig los und am Ende gewinnt die andere Mannschaft vielleicht sogar noch 3:2. Der Fußball hier ist viel überraschender.

[Mitarbeit: Philipp Schaefer]

Auch erschienen bei 11Freunde und beim Osteuropakanal.

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